Kommunikationstechnologien: Nutzen - benutzen - ausgenutzt?
Published in "Der Apfel", Rundbrief des Österreichischen Frauenforums Feministische Theologie, Nr. 47, Februar 1999
Um über den Nutzen der neuen Kommunikationstechnologien reden zu können, müssen wir erst einmal überlegen welchen Nutzen wir meinen: geht es um den Nutzen der Technologie an sich oder um den Nutzen der Kommunikation überhaupt? Dabei kommen wir gleich zur Frage: Was verstehen wir unter Kommunikation?
Nachdem Technologien niemals wertneutral sein können, weil sie schon - bevor sie überhaupt angewandt werden - auf Grund von bestimmten Annahmen, Fragestellungen und Absichten entwickelt werden, ist die Frage nach unserem Verständnis von Kommunikation nicht unerheblich.
Der Begriff Kommunikation kann sich auf den Austausch von Information beziehen, allerdings beruht der Vorgang des Austausches auf eine Vorauswahl an Beteiligten. Nicht umsonst hat sich der Begriff "Informationsreichtum" eingebürgert, da der Zugang zu Information zunehmend den Zugang zu Ressourcen voraussetzt. Im Zusammenhang mit den neuen Kommunikationstechnologien ist dieser Zugang eine Frage der technischen Ausstattung, der Fertigkeit im Umgang mit der Technik sowie eine Frage der verfügbaren Zeit, wobei auch Sprachbarrieren eine nicht unwichtige Rolle spielen. Wenn diese Fragen nicht von einer feministisch-kritischen Perspektive aus durchdacht werden, wird der Zugang zu Information weiterhin und sogar noch verschärft entlang den bisher in unserer Gesellschaft üblichen Bahnen laufen. Mit anderen Worten: Frauen brauchen auch hier die gleichen Seilschaften und Netzwerke und gegenseitige Unterstützung, wie auch sonst überall.
Information bedeutet aber nicht nur Vorteile. Wir kennen bereits die Übersättigung, die Überflutung an Information aus allen Medien, die dazu führt, daß wir nichts mehr aufnehmen können, daß wir manchmal nicht mehr in der Lage sind, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und, daß wir uns manchmal überfordert fühlen, weil wir befürchten, bei den Unmengen an Meldungen, etwas Wichtiges zu übersehen. Meiner Meinung nach brauchen wir als kritische Feministinnen die Entwicklung neuer Strategien, um die Informationsflut sinnvoll zu filtern. Viele Menschen auf der ganzen Welt schnell erreichen zu können, ist eine neue und brauchbare Möglichkeit, aber es bringt im Endeffekt wenig, wenn irgendwelche Mitteilungen ständig einfach weitergeleitet werden. Per Zufall kommen manche trotzdem irgendwie an die richtige Stelle, Aktionen können aufgenommen und weitergeführt werden, doch wir dürfen uns keine Illusionen machen, daß damit die Massen endlich in Bewegung gesetzt werden. Ein sinnvoller Informationsfilter muß auch wohlüberlegte Zielsetzungen beinhalten und eher auf punktuelle und temporäre Allianzen als auf Massenbewegungen setzen.
Information ist dennoch nicht mit Kommunikation gleichzusetzen. Es ist wahrscheinlich kein Zufall, daß das deutsche Wort mitteilen, das auf viel greifbarere Weise ein Gegenüber impliziert, vom eingedeutschten englischen Wort "communication" vielfach verdrängt wird. Kommunikation ist oft ein rein formaler Vorgang, kann auch einbahnig ausgeführt werden, impliziert eher einen technischen Kontext. Da der Begriff aber auch das Ziel, sich verständlich zu machen, beinhaltet, muß eine Offenheit für Rückmeldungen dennoch gegeben sein.
Inzwischen wurden schon unzählige Studien über geschlechtsspezifische Aspekte der Kommunikation durchgeführt, wobei viele davon die herkömmlichen Vorurteile bestätigen, da sie von herkömmlichen Vorurteilen ausgehen. Demnach sind Frauen sozialer, einfühlsamer, rücksichtsvoller und friedfertiger als Männer, und dieses Verhalten schlägt sich auch in Kommunikationsverhalten nieder. Tatsache ist, daß sich im Internet eine Nische für jedes erdenkliche bevorzugte Kommunikationsverhalten finden läßt. Möglichkeiten, um ganz andere Verhaltensmuster auszuprobieren, lassen sich ebenfalls ohne Weiteres finden.
Zunächst wurden diese Möglichkeiten als Befreiung von den herkömmlichen Geschlechterrollen gefeiert, da das Geschlecht der sich gegenseitig elektronisch mitteilenden Menschen theoretisch keine Rolle spielt, ja nicht einmal festgelegt werden muß. Inzwischen hat sich allerdings gezeigt, daß Klischeebilder von Weiblichkeit und Männlichkeit oft sogar noch übertrieben werden, um das angegebene Geschlecht darzustellen. Männer, die vorgeben Frauen zu sein, stellen z.B. ihre Fantasiebilder von Frauen dar, und wenn diese Männer entweder physisch oder geistig im Alter der Pubertät sind, kann die Wirkung alles anders als aufklärend im feministischen Sinne sein.
Doch auch wenn die Möglichkeiten der Unbestimmtheit des Geschlechts nicht die ursprüngliche euphorisch begrüßte Wirkung hat, werden Geschlechterrollen dennoch in Frage gestellt. Viele Künstlerinnen und Theoretikerinnen haben diesen Aufbruch zum Anlaß genommen, sich aus anderen Perspektiven mit Themen wie Körper, Identität, Geschlecht auseinanderzusetzen. Die Frage nach dem Menschsein stellt sich anders, wenn sie nicht von Vornherein bipolar gedacht wird. Anderseits läßt sich die Frage nach dem Frausein sehr spielerisch und vielschichtig stellen, wenn sie nicht an einen physischen Körper festgebunden ist (z.B. eine Einladung von im Ausland lebenden russischen Künstlerinnen, an einem neuen Bild "der russischen Frau" mitzubasteln).
Wenn eine Diskussion des Nutzen der Kommunikationstechnologien doch eine Auseinandersetzung mit unserem Verständnis von Kommunikation voraussetzt, wird die Kommunikation dennoch von den Technologien mitbestimmt. Zur Zeit wird eine umfassende Kommerzialisierung der Kommunikationstechnologien vielerorts nach Kräften forciert. Mit Kontrollinstanzen an möglichst vielen Knotenpunkten wird versucht, das Medium zu beherrschen und zu steuern. Ein individualistischer Umgang mit der Technologie, der sich primär auf die neuesten Entwicklungen - sprich den Besitz der neuesten Ausrüstung - konzentriert, kommt solchen Bestrebungen meiner Meinung nach sehr entgegen. Die derzeit im Gang befindliche "Open Source"-Debatte zeigt die weitreichenden Konsequenzen der unterschiedlichen Vorgehensweisen auf, die langfristig tiefreichende politische Auswirkungen mit sich bringen.
Am Prägnantesten läßt sich die "Open Source"-Debatte am Beispiel zweier Kontrahenten erklären: der transnational agierende Konzern Microsoft und die weltweit gewachsene Linux-Gemeinschaft. Als kommerzielle Firma entwickelt und vertreibt Microsoft Anwendungen für PCs ("personal computers") und zunehmend für Netzwerkbetriebe nach den bekannten Regeln des Kapitalismus. Neben dem Verkaufspreis sind auch Lizenzgebühren zu bezahlen, unbezahltes Kopieren der Anwendungen ist untersagt und wird mit immer mehr Nachdruck geahndet. Der Source Code (in gewisser Weise das "Strickmuster" nach dem die Anwendungen laufen) wird streng geheimgehalten, um unbefugte Kopier- und Entwicklungstätigkeiten zu unterbinden und das Copyright aufrechtzuerhalten. Linux ist ein Betriebssystem (das Basissystem eines Computers, sozusagen die Grundlage dafür, daß diverse Anwendungen laufen können), das ursprünglich von einem (damals) Studenten namens Linus Torwald in Finnland erfunden und öffentlich zur Verfügung gestellt wurde. Computer-interessierte haben das System aufgenommen und weiterentwickelt, wobei vieles an Zusammenarbeit über computer-unterstützte Kommunikationsmittel gelaufen ist. Inzwischen hat sich die "Linux-Gemeinschaft" auf die ganze Welt ausgebreitet, Linux ist aber nach wie vor nicht kommerzialisiert worden. Im Gegensatz zu Microsoft ist der Source Code für Linux offen, d.h. Das "Strickmuster" steht jeder/jedem ProgrammiererIn zur Verfügung, und wer eine bessere Idee hat, wie etwas zu machen wäre, probiert es einfach aus. Fragen und Entdeckungen und Probleme werden weltweit über Mailinglisten ausgetauscht. Auf diese Weise ist ein sehr stabiles und brauchbares System entstanden, das auch noch extrem kostengünstig ist, da es weder Lizenzgebühren noch Kopierbeschränkungen gibt. Dieses System ist ausschließlich durch Zusammenarbeit und Kooperation zustande gekommen. Es existiert nur, weil interessierte Menschen sich vernetzt und gegenseitig unterstützt haben und das weiterhin tun. Und es stellt für den transnational agierenden Microsoft Konzern eine ernstzunehmende Bedrohung dar.
Die Verkaufsstrategie von Microsoft geht davon aus, daß lauter Einzelpersonen vereinzelt vor ihren Bildschirmen sitzen, und zielt darauf hin, daß auf möglichst vielen dieser Bildschirme Microsoft-Produkte zu sehen sind. Die Entwicklungsstrategie zielt darauf hin, möglichst viele Bedürfnisse zunächst zu wecken und dann abzudecken - alles gleich im selben Paket und alles zu bezahlen. Linux setzt dagegen unterschiedliche Bedürfnisse voraus, die auch verschiedene und individuelle Lösungen brauchen, die allerdings nicht individuell sondern in Zusammenarbeit gefunden werden. Es ist einfach nicht möglich, daß ein einzelner Mensch das gesamte Wissen um dieses System beherrscht, deswegen ist Wissensverteilung ein inhärentes Element des Systems.
Ob wir einen individualistischen Umgang mit Kommunikationstechnologien pflegen oder auf verteiltes Wissen und vernetzte Zusammenarbeit setzen ist keine belanglose Frage. Wir können uns buchstäblich für dumm verkaufen lassen, oder wir können Strategien entwickeln, um sinnvoll und - im weitesten Sinne - ökonomisch mit Kommunikationstechnologien umzugehen. Doch eins ist sicher: mit Kommunikationstechnologien umgehen müssen wir, so oder so.