Hedwig Pepelnik-Gründler, Festschrift zum 60. Geburtstag, 1997

Beim Prix Ars Electronica 96 wurde die vernetzte Installation "Global Interior Project" von Masaki Fujihata [1] mit der Goldenen Nica, dem ersten Preis des Wettbewerbs für Computerkunst, ausgezeichnet. Bei diesem Computerkunstwerk handelt es sich um verschiedene "Räume", die einerseits konkret durch kleine, aufeinandergestapelte Schachteln dargestellt werden, die man andererseits durch Netzwerkverbindungen virtuell betreten kann. Dadurch können verschiedene Menschen gleichzeitig einander begegnen und miteinander reden. Die verschiedene Räume werden mit symbolischen Gegenständen gekennzeichnet, und um in einen anderen Raum zu gelangen, fliegt man einfach durch ein Fenster. Wie es bei Kunstwerken meistens der Fall ist, stellt sich hier die Frage, ob das Werk eine Abbildung der Wirklichkeit, einen Hinweis auf mögliche Wirklichkeiten, oder ein Bewußtmachen einer nicht bewußt wahrgenommenen Wirklichkeit darstellt. Auf Grund dieser offenen Frage, möchte ich "Global Interior Project" als Sinnbild für das Österreichische Frauen Forum Feministische Theologie hernehmen. Der Struktur und vor allem der Intention nach, soll das Frauen Forum eben genauso funktionieren, wie das Kunstwerk. Es soll ein "Ort" sein, an dem sich Frauen auf verschiedenen Ebenen, in verschiedenen Formen in verschiedenen "Räumen" begegnen und miteinander reden und "die Metaphysik der Wirklichkeit entdecken" [2] können.

Die Wirklichkeitsebene, die mir dabei besonders wichtig ist, ist die der Vernetzung. Wir sind es gewohnt, daß unsere Beziehungen linear definiert werden, daß wir in Familien, Teilfamilien und Alleinstehende eingeteilt werden. Alle anderen Beziehungen werden bloß als Verzweigungen dieser Hauptaufteilung, der auch herkömmliche politische Betrachtungen zugrundeliegen, definiert. Mit Vernetzung meine ich aber eine nichtlineare Definition unserer Beziehungen: Freundschaften, Allianzen, arbeitsbezogene Verbindungen gehen in andere Richtungen, sind aber im Wesentlichen mit familiären Verbindungen gleichberechtigt. Wir haben nur keine Namen für diese anderen Beziehungen, da "meine Freundin" alles heißen kann, von einer guten Bekannten bis hin zu einer Liebhaberin oder Lebensgefährtin.

Wir können unter verschiedenen möglichen Definitionen unseres eigenen Lebenszusammenhanges auswählen, und unsere jeweilige persönliche Ausgangsposition können wir dann mit der Ausgangsposition an einer Workstation der Installation vergleichen: Wir fangen konkret an einem Punkt an, wo wir den Trackball in die Hand nehmen, und wir werden an diesem Punkt in dem Schachtelstapel auch dementsprechend registriert. Wo wir dann hinkommen ist allerdings ganz offen. Es kann schon sein, daß manche Frauen lieber in vertrauten Räumen bleiben und das, was sie schon kennen, immer wieder neu anschauen, Menschen, die sie schon kennen, immer wieder begegnen. Aber die Möglichkeit ist da, auch neue Räume zu entdecken, sich mit ganz anderen Menschen auseinanderzusetzen. Also fliegen wir einfach durch ein Fenster.

Es gibt im Frauen Forum Feministische Theologie zwei Räume, die ich besonders mit Hedwig Pepelnik-Gründler verbinde, die auch mir persönlich sehr wichtig sind. Der erste Raum bezieht sich auf lesbische Lebensformen. Da es in den Statuten des Österreichischen Frauen Forums Feministische Theologie ausdrücklich festgehalten wird, daß wir uns für die gesellschaftliche Anerkennung lesbischer Lebensformen einsetzen, meine ich, daß dieser Raum in unserem Stapel eine zentrale Stelle einnimmt. Meine Anwesenheit in diesem Raum ist nach der herkömmlichen linearen Beziehungsdefinition nicht erklärbar. Ich lebe nämlich in einer ganz konventionellen, bürgerlichen Kleinfamilie. Diese Definition ist mir aber zu eng. Meine konventionelle Kleinfamilie, so lieb ich sie auch habe, ist mir alleine nicht genug. Wenn ich nur in diesem Raum bleiben müßte, würde ich ersticken, und dann hätte meine Kleinfamilie auch nichts von mir. Mein Leben, mein Denken, meine Wahrnehmungen sind mindestens genauso stark von den querlaufenden Verbindungen mit anderen Frauen geprägt und mitbestimmt. Aus diesem Grund ist es mir so ungeheuer wichtig, in einen Raum fliegen, diesen manchmal auch als mein Ausgangspunkt nehmen zu können, in dem es darum geht, daß Frauen auch in anderen Formen und Zusammenhängen leben, in dem Beziehungen unter Frauen und zwischen einzelnen Frauen im Vordergrund stehen. Ich betrachte es als einen ganz großen Verdienst von Hedwig, daß dieser Raum existiert, daß er gepflegt und gemütlich ist und, daß die Fenster auch wirklich offen stehen. Hedwig begegne ich sehr gerne in diesem Raum, und diese Begegnungen sind mir wichtig. Ich möchte aber auch die Frauen, die diesen Raum weniger kennen, sehr herzlich einladen, einmal - und öfter - hereinzufliegen.

Ein zweiter wichtiger Raum, in dem ich mich öfter gemeinsam mit Hedwig befinde, ist der Raum, der gerade außerhalb der Grenzen der Kirche steht, ein Raum der aus der Kirche ausgetretenen Frauen. Im Forum gibt es auch verschiedene Räume der aus den Kirchen ausgetretenen, bzw. nie drinnen gewesenen Frauen. Manche sind eher von Zorn oder Ablehnung geprägt, und Räume, in denen wir zornig sein können, sind auch dringend notwendig. Doch der Raum, den ich meine, ist eher von einer liebenden Distanziertheit geprägt. Ich bin vor einigen Jahren aus der katholischen Kirche ausgetreten, aber ich betrachte meine lange Geschichte in der Kirche keineswegs als Fehler oder gar Irrweg. Ich habe von dieser Kirche viel bekommen, das ich heute noch schätze und ehre. Ich habe mich von dieser Kirche distanziert, weil ich die "Autorität" der männlichen, kirchlichen Hierarchie nicht mehr anerkennen kann, doch ich fühle mich noch mit ihr verbunden, weil ich weiß, daß es noch viele Frauen, die in einer langen und schönen Tradition stehen, gibt, die das immer noch weiter tradieren, was ich immer noch schätze und ehre. Von diesem Ausgangspunkt aus, fliege ich manchmal gerne in die Räume auf der anderen Seite der Grenze der Kirche, in denen ich ihnen begegne. Einen Ausgangspunkt innerhalb der Kirche nehme ich nicht mehr an, doch ich stehe dazu, daß dies lange, sehr lange mein wichtigster Ausgangspunkt war. Von diesem distanzierteren Raum aus, fühle ich mich eher in der Lage, die von Männern in Anspruch genommene Autorität in Frage zu stellen, anzugreifen. Gleichzeitig nehme ich die Autorität, mit der immer mehr Frauen auftreten, viel stärker wahr und möchte sie unterstützen, ermutigen, würdigen. Manchmal habe ich allerdings den Eindruck, daß dieser Raum nicht sehr häufig bewohnt wird. Ohne Hedwig, die den "Würdenträgern" gegenüber ein wunderbares Unbeeindrucktsein an den Tag legt, würde ich mich in diesem Raum manchmal etwas einsam fühlen, fürchte ich.

Es gibt so viele verschiedene "Räume" im Österreichischen Frauen Forum Feministische Theologie und so viele wunderbare Frauen, daß ich sie alle gar nicht ausreichend beschreiben könnte. Zwei Räume und eine Frau stellen nur einen kleinen Anfang dar, sollen aber zum Weiterfliegen anregen. Guten Flug!

Aileen Derieg

1Leopoldseder, Hannes/Christine Schöpf (Hg.), Prix Ars Electronica 96, Internationales Kompendium der Computerkünste, Springer Verlag, Wien, New York, 1996, S. 120-125.

2ebed., S. 120