"Gefangen in Sicherheit", on the Darren Almond exhibition at Lentos Art Museum,

published in Kulturrisse (http://www.kulturrisse.at/), 2004

Darren Almond: Live Sentence

(Objekt "Mono/Chrono/Pneumatic Black", 700x400x90, Aluminium, Glas, Lack, pneumatisches Kontrollsystem; 5 Videoprojektionen, Sound; Fotografie "Fullmoon@Laycock", Lambda-Print, 150x120)

Installation im Lentos Kunstmuseum Linz

Gefangen in Sicherheit

Hier. Jetzt. Gerade in diesem Moment. An diesem Ort und gleichzeitig an einem anderen.

Die Installation von Darren Almond im Lentos Kunstmuseum Linz gewährt Einblick in die nahe gelegene Linzer Justizanstalt. Es ist jedoch kein voyeuristischer Blick, der hier geboten wird. Die Gefängnisräume, die via Satellitenverbindung ins Kunstmuseum übertragen werden, sind leer. In der Anordnung der Installation wandert man von einem Gefängnisraum zum nächsten, und während die dunklen Gänge der Installation nur vom durch die projizierten Gefängnisfenster einfallenden Licht erhellt werden, wirkt gerade diese Leere beklemmend.

Am Ende steht ein Ausblick, ein Blick in die Landschaft, ein historischer Rückblick: Eine Fotografie einer historischen Fotografie einer Landschaft, Henry Fox Talbotts Blick aus einem Fenster von Lincoln Abbey. Doch auch dieser Ausblick wirkt auf Grund der schweren Last der Geschichte ebenfalls beklemmend. Dazu schreibt Stella Rollig im Pressetext: "Die Erfindung der Fotografie verläuft parallel zur Industrialisierung, zur Entwicklung der bürgerlichen Gesellschaft und damit des Selbstverständnisses, das der heutigen europäischen Verfasstheit im Wesentlichen zu Grunde liegt."

Was macht ein Gefängnis in einem Museum moderner Kunst? Warum diese aufwendige Übertragung statt einfacher Videoaufnahmen oder Fotografien? Durch die Gleichzeitigkeit, die Gegenwärtigkeit der Gefängnisräume in den Räumlichkeiten des Museums, wird die Konstruiertheit beider gesellschaftlichen Räume hervorgehoben. Museum und Gefängnis sind Orte einer Aufbewahrung, einer Abgeschiedenheit. Was aber in der Verschachtelung dieser gesellschaftlichen Räume deutlich wird, ist ihre Unterschiedlichkeit: Es geht hier um die Herstellung und eine Sichtbarmachung von Machtverhältnissen. Wer das Lentos Kunstmuseum betritt, handelt freiwillig, das Bezahlen einer Eintrittskarte suggeriert sogar die Inanspruchnahme eines Privilegs: Nicht jeder darf einfach so ins Museum gehen. Den umgekehrten Fall gibt es selbstverständlich nicht, auch wenn Vorstellungen einer Priviligiertheit unterschwellig mitschwingen: Nicht jeder wird einfach so im Gefängnis eingesperrt.

Eine Gewissheit in Bezug auf eine bestehende Gesellschaftsordnung, in der Klarheit über die Zugehörigkeit, die bestimmt, wer ins Gefängnis, wer ins Kunstmuseum geht, herrscht, scheint allgemein zu bestehen. Bestätigt wird sie nicht zuletzt durch ein Kunstverständnis, das auf "schöne" und "bedeutende" Werke setzt, wofür ausgefallene Architekturen speziell entwickelt werden, um sie aufzubewahren und unter bestimmten Bedingungen zur Schau zu stellen. Eine solche Architektur ist das Lentos Kunstmuseum, und es beherbergt eine ansehnliche Sammlung "schöner" und "bedeutender" Kunstwerke. Nach Stella Rolligs Ernennung zur neuen künstlerischen Leiterin des Lentos wurden Befürchtungen geäußert, sie würde sich von der "gediegenen" Sammlung, die durch "intelligente wie sensible Sammlertätigkeit" aufgebaut wurde, "gebremst" sehen und wäre besser Kuratorin im O.K Centrum für Gegenwartskunst geblieben, das sich des "verschwindend geringen Interesses für aktuellste Kunst" bedient1. Auf den ersten Blick scheint jedoch die Wahl von Darren Almond für die erste Ausstellung unter der Leitung von Stella Rollig derartige Befürchtungen zu beruhigen. Unter der Auflistung der bisherigen Ausstellungstätigkeit von diesem "Young British Artist" finden sich solche renommierten Namen wie Royal Academy of Arts, London, Museum Fridericianum Kassel, San Francisco Museum of Modern Art, Århus Kunstmuseum, Dänemark, und viele andere. Das Lentos Kunstmuseum Linz befindet sich somit in bester Gesellschaft, und der Name Darren Almond braucht sich neben der Auflistung bedeutender Künstler (und ein paar wenige Künstlerinnen) in der Lentos-Sammlung nicht zu verstecken.

Jenseits aller Fragen der Bedeutsamkeit geht es hier jedoch um Kunst, die auf ganz andere Art und Weise wichtig sein kann. Kunst ist mir persönlich wichtig, indem sie den Fokus unserer alltäglichen Wahrnehmung verschärfen oder verschieben kann, indem sie andere Möglichkeiten, wie wir denken und leben könnten, vorstellbar machen kann. Wie sehr Darren Almond es vermag, Menschen mit seiner Arbeit zu berühren, spürt man sehr deutlich in den Beschreibungen der verschiedensten Menschen, die seine Arbeit erlebt haben. Doch nur persönlich und "nur" berührend ist seine Arbeit nicht. Wie Stella Rollig ihre Entscheidung für ihn begründet: "Seit Jahren interessiert mich seine Arbeit, weil sie in meinen Augen das Politische, das Persönliche und das Poetische zu vereinen schafft."2 Politisch ist die Übertragung der Räume der Justizanstalt in die gefeierten Räume des Lentos auf mehreren Ebenen.

Auf einer konkreten technischen Ebene stellt sie die Bauweise, die Kunst mit Bildern gleich setzt, grundsätzlich in Frage: Der Aufbau Darren Almonds Installation wurde nicht unerheblich dadurch erschwert, dass die Wände des Lentos das Aufhängen der Projektoren kaum zuließen. Wenn man bedenkt, wieviel Mittel aus dem Kulturbudget der Stadt Linz und des Landes Oberösterreich dieser Bau an sich gebunden hat, scheint das Kunstverständnis der politischen Entscheidungstragenden zumindest etwas eingeschränkt. So schön wie das glasumhüllte Gebäude aussieht, so wohltuend wie die hellen großen Räume sind, das Aussehen wird von den Mängeln der baulichen Konstruktion und den inneren Einrichtungen doch zumindest leicht getrübt, wenn dadurch ein kreativerer Umgang mit den Inhalten des Museums eingeschränkt wird. Es darf nicht nur um das Äußere gehen.

Politisch ist diese Arbeit aber auch ideell durch die Verschachtelung zweier Orte, die in der gesellschaftlichen Ordnung getrennte doch in gewisser Weise komplementäre Rollen spielen. Es geht um Zuordnungen, darum, wer "gehört" in welchen Räumen. Eine so schöne Umgebung wie das Lentos, die zudem mit so wertvollen Gegenständen gefüllt ist, vermittelt ein Gefühl der Sicherheit, wirkt beruhigend. Alle Unannehmlichkeiten des Lebens bleiben draußen. Glücklich kann sich schätzen, wer hierher "gehört". Aber was ist die Kehrseite davon, wenn man sich an diesem geschützten Ort gleichzeitig von einem anderen Ort umgeben findet, und zwar ein Ort, der auf ganz andere Art und Weise mit dem Begriff Schutz in Verbindung gebracht wird? Wie gestaltet sich die Zugehörigkeit der Menschen, die sich dort befinden und eben nicht gleichzeitig hier? "Gehören" sie alle ins Gefängnis? Die Frage, was es heißt, eine Strafe zu verdienen, wer eine Strafe "verdient", beinhaltet in dieser Überlagerung unweigerlich die Frage, wer es denn "verdient", die Sicherheit der beruhigenden Museumsräume genießen zu dürfen. Dies ist jedoch keine moralisierende Frage, gerade nicht im größeren Zusammenhang des Lentos mit seiner bedeutenden Kunstsammlung. Es ist die Frage, was Schutz wirklich heißt. Was vermag, uns Schutz zu bieten, und vor wem und was?

So beruhigend und erbaulich wie schöne und bedeutende und wertvolle Kunstwerke auch sein können, dass sie keinen Schutz bieten, wissen wir seit spätestens siebzig Jahren. Ein Kunstwerk mag schon eine sichere Wertanlage darstellen, aber Sicherheit kann es niemals garantieren. Und wenn uns "Law&Order"-Proponenten einreden wollen, dass wir erst in Sicherheit leben können, wenn immer mehr Menschen in Gefängnissen eingesperrt werden, muss man nicht lange über diese Logik nachdenken, um zu erkennen, je mehr Menschen als "ordnungsgefährdend" identifiziert werden, desto größer ist die potenzielle Gefährdung der Ordnung, auf der unsere vermeintliche Sicherheit gründet. Der Schutz, den gesellschaftlich konstituierte Räume wie Museen und Gefängnisse bieten können, ist eine Illusion.

Ein Museum kann aber auch etwas Anderes zur Verfügung stellen, nämlich ein öffentlicher Raum, der verschiedenartige Versammlungen zulässt und Reflexion fördert. "Was das Museum aber tun kann, ist, sich kritisch mit den Bedingungen von Kunst und Kultur heute zu beschäftigen und einen Diskussionsraum offen zu halten."3 Somit könnte ein Museum gerade die Art von Luxus bieten, die unsere Gesellschaft dringend benötigt: Unter dem Motto "Luxus für Alle" veranstaltete die Linzer Freie Szene im Mai 2003 am Hauptplatz eine Kundgebung zur Solidarität mit der Streikbewegung gegen den von der Regierung geplanten Pensionreform. Wie Astrid Esslinger das Verständnis von Luxus im Vorfeld der Kundgebung formulierte: "Die Rede ist hier nicht vom materiellen Luxus der Warenwelt, der unsere Müllberge speist, sondern vom Luxus Lebensqualität, Freiraum, Wahl- und Gestaltungsmöglichkeit."4 Nach dem Verständnis der Freien Linzer Kulturszene gehören auch "lebendige Kunst und Kultur" zu dieser Lebensqualität: "Soziale Sicherheit, humane Arbeitsbedingungen und Bildung sind ebenso wie lebendige Kunst und Kultur Rechte, die es einzufordern gilt, wenn die Politik nicht für entsprechende Rahmenbedingungen sorgt. Wir demonstrieren unseren Protest im Öffentlichen Raum, weil wir denken, dass die Welt allen gehören muss und von allen gestaltet werden kann."5 In diesem Sinne ist Kunst nicht mit bedeutenden Bildern gleichzusetzen und stellt statt abgeschlossener Sicherheit ein Recht auf Mitsprache und Mitgestaltung dar.

Wenn nun Darren Almond die Räume der Justizanstalt in das Kunstmuseum übertragt, kann diese Installation als eine Einladung gelesen werden, herkömmliche Vorstellungen von Schutz und Sicherheit in Frage zu stellen. Noch einmal verstärkt wird diese Einladung mit einer Lesung und ausgewählten Filmen im Lentos am 24. Juni: " Dabei wird versucht, die den Gefängnisbildern eingeschriebenen Machtverhältnisse bloßzulegen und visuelle Strategien gefängniskritischer Filme aufzuzeigen."6 Es bleibt also eine berechtigte Hoffnung, dass das Lentos Kunstmuseum unter der Leitung von Stella Rollig mehr zu bieten haben wird, als nur schöne Bilder. Auch wenn die Bilder tatsächlich wunderschön sind.

1Almuth Spiegler: "Wenn die Macht ruft", Die Presse, 22.11.2003.

2Email vom 04.06.2004

3Jorge Ribalta: Mediation und Herstellung von Öffentlichkeiten.
Die MACBA Erfahrung: http://republicart.net/disc/institution/ribalta01_de.htm

4http://www.servus.at/esslinger/pages/text_frameset.html

5http://www.servus.at/kundgebung/

6Lentos Pressetext: "Gefängnisbilder. Eine Lesung und ausgewählte Filme von 1950 – 2003" mit Dr. phil. Ramón Reichert, Lentos Kunstmuseum, 24. Juni 2004 um 19.00.