Prinzipien und Vernunft
“Choose your battles“, heißt ein bekanntes Sprichwort, und im Prinzip klingt es ja vernünftig. Doch wie man die richtige Entscheidung trifft, ist nicht immer ganz klar.
Als ich mich wegen der Mietvertragskündigung erkundigen wollte, wurde ich informiert, dass mir unter den gegebenen Umständen eine Mietzinsminderung von 25%, wenn nicht gar 100% zustehen würde. Eine einfache Suche im Internet zu den Begriffen “Mietzinsminderung“ und “Baustellenlärm“ ergibt tatsächlich eine lange Liste an Präzedenzfällen, Gerichtsurteilen und Ratschlägen, die alle bestätigen, dass mir eine Mietzinsminderung zustehen sollte, wenn ich durch die Umbauarbeiten direkt neben meinem Büro daran gehindert werde, meine berufliche Tätigkeit auszuüben. Nachdem ich mein Büro bereits Ende September übersiedeln musste, um weiter arbeiten zu können, schien es mir einleuchtend, dass ich nicht die volle Miete während der 3-monatigen Kündigungsfrist zahlen muss. Da mir der Abschied aus dem Ehrenletzberger Haus am Hauptplatz ohnehin so schwer fällt, habe ich diese kleine Erleichterung als eine Art Trost empfunden, und habe einen Brief an die Hausverwaltung geschrieben, um meinen Anspruch zu behaupten.
Dafür werde ich jetzt verklagt. Von einem Anwalt in Kitzbühel in Vertretung der x-sten Generation von Erbinnen und Erben, in deren Besitz das Haus steht. Wegen 132 Euro.
Worte wie “Spatzen“ und “Kanonen“ geistern mir gerade durch den Kopf.
Da ich mir beim besten Willen nicht vorstellen kann, dass diese x-ste Generation von Erbinnen und Erben tatsächlich auf diesen Betrag von 132 Euro angewiesen ist, werde ich scheinbar rein aus Prinzip verklagt. Deswegen sagt mir mein Gefühl, dass ich mich ebenfalls aus Prinzip gegen die Klage wehren muss, auch wenn mir die Vernunft sagt, es sei aussichtslos und ich habe eigentlich Wichtigeres zu tun.
Es gibt Menschen, die mit Raum etwas machen wollen, wie die vielen inspirierenden Menschen, die in die Werkstatt am Hauptplatz gekommen sind, doch es gibt scheinbar auch Menschen, die mit Räumen nur Geld schöpfen wollen, das wohl Uninteressanteste, was man mit Räumen machen kann. Deswegen finde ich Projekte wie das Willy-Fred-Haus und das RaumSchiff extrem wichtig und unterstützenswert, und ihnen würde ich das Geld wesentlich lieber überweisen. Und dass es nun zum Schluss einen unangenehmen Streit um Geld gibt, finde ich ein ganz und gar unpassendes Ende für die Werkstatt am Hauptplatz.
Ich gehe davon aus, dass ein Anwalt um einiges mehr an Ressourcen und Möglichkeiten hat, um zu verhindern, dass ich meinen Anspruch auf Mietzinsminderung geltend machen kann, und er wird vermutlich auch dafür bezahlt. Auch wenn ich überzeugt bin, dass mein Anspruch berechtigt ist, schätze ich meine Aussichten auf Erfolg eher gering ein, weil ich weder Ressourcen noch Energie habe, um einen Rechtsstreit auszufechten, und mich bezahlt auch niemand dafür. Nicht einmal die Höhe der Mietzinsminderung spricht dafür. Doch Einspruch werde ich selbstverständlich trotzdem einbringen, denn es geht um das Prinzip. Wenn es mir nicht gelingt, meinen Anspruch auf Mietzinsminderung geltend zu machen, wird es wohl etwas länger dauern, bis ich aufhören kann, immer genügend ausreichend bezahlte Aufträge annehmen zu müssen, um die Miete abzudecken (bzw. die Gerichtskosten nachher abzuzahlen), bevor ich mich den “solidarischen“ Übersetzungen widmen kann. Nein, vernünftig ist das nicht, aber es geht um das Prinzip.
Mein Abschied aus dem wunderbaren Ehrenletzberger Haus hätte ich mir anders vorstellen können, anders gewünscht. Seit ich 1985 nach Linz gekommen bin und gleich als Kellnerin in der Alten Welt zu arbeiten begonnen habe, bin ich mit dem Haus verbunden. Alle meine Bemühungen, die Welt, in der ich lebe, ein klein wenig besser zu machen, haben seit 30 Jahren in diesem Haus angefangen. Zumindest ein kleines Zeichen der Anerkennung hätte ich mir gewünscht, eine kleine Anerkennung dafür, dass Peter und ich während unserer Zeit im Ehrenletzberger Haus einiges geschaffen haben, das gut und schätzenswert war und in die weite Welt hinausgegangen ist, dass wir die gemieteten Räume dafür genutzt haben, einen guten Ort zu schaffen, wo Menschen auch zusammen kommen konnten.
Aber statt dessen werde ich jetzt verklagt. Von einem Anwalt in Kitzbühel in Vertretung der x-sten Generation von Erbinnen und Erben, in deren Besitz das Haus steht. Wegen 132 Euro.
Das macht mich nur mehr traurig. Das Haus verdient mehr Respekt – und ich auch.