I would rather be a cyborg than a goddess.
" I would rather be a cyborg than a goddess."
(D. Haraway)
Identitätsbildung zwischen Alltagspolitik und "Cyberspace" in Hinblick auf die ökonomische Auswirkungen
Wie ein roter Faden zieht sich durch sämtliche Debatten rund um den Staatshaushalt die Annahme, daß die Kleinfamilie (d.h. Vater, Mutter, Kind/er) die Norm und die kleinste gesellschaftliche Einheit darstellt. Dabei wird davon ausgegangen, daß der Vater in erster Linie für die Lebenserhaltungskosten aufkommt, und die Mutter für Kinderbetreuung und die Gestaltung der "Privatsphäre" zuständig ist. Kinder dienen zur Sicherung der Pensionsgrundlage. Es wird zwar zur Kenntnis genommen, daß eine strikte Arbeitsaufteilung nicht mehr unbedingt die Regel ist, daß z.B. zunehmend mehr Väter ihren Kindern mehr Zeit widmen wollen und sich an der Hausarbeit mehr beteiligen sollten. Außerdem wird der Begriff "berufstätige Mutter" soweit als gesellschaftliche Wirklichkeit empfunden, daß ein gewisses Maß an Akzeptanz als gegeben betrachtet werden kann. Dabei bleiben die Grundstrukturen des Schemas Kleinfamilie allerdings unangetastet. Die "berufstätige Mutter" wird allgemein im Zusammenhang mit einem "Hauptverdiener" gedacht und, daß diese Frauen doppelter und dreifacher Belastung ausgesetzt werden, wird einfach vorausgesetzt.
Regelungen in Bezug auf Menschen, die nicht in dieses Schema passen, werden in diversen Anhängen und Appendices hinzugefügt, da alle anderen Lebensformen im Verhältnis zur Kleinfamilie definiert und als Abweichungen davon betrachtet werden. Solche Bezeichnungen wie "alleinerziehende Mütter", "Singles", "PensionistInnen", "kinderlose Paare" sind notwendig geworden, weil die Bezeichnungen "Mann" und "Frau" nicht ausreichen, um die Tätigkeitsfelder der in unserer Gesellschaft lebenden Personen zu vermitteln. Ob sie das jemals wirklich konnten, bleibt dahingestellt. Die Bezeichnungen für nicht in Kleinfamilien lebenden Personen werden jedoch immer in Bezug auf den Unterschied zum Kleinfamilienmodell definiert. "Kinderlose Paare" impliziert, daß Paare aus Mann und Frau bestehen und, daß sie normalerweise Kinder haben sollten. Die Bezeichnung "alleinerziehende Mütter" (und selbst die gelegentlich großzügigerweise angeführten "alleinerziehenden Väter") impliziert die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung, da ein Teil der Versorgungsarbeit, die in der Kleinfamilie als abgedeckt angenommen wird, nicht gewährleistet ist. Daß "PensionistInnen" gesondert betrachtet werden, unterstreicht, daß unsere Gesellschaft als aus Kleinfamilien und nicht aus Familienverbänden bestehend betrachtet wird. Daß die Alterspyramide sich schon längst auf den Kopf gestellt hat, wird zwar mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, doch für die Annahme der Kleinfamilie als Gesellschaftsgrundlage bleibt dies ohne Folgen. Im Gegenteil: Zusatzregelungen werden getroffen, um die verstärkte Produktion von Kindern, d.h. zukünftige Pensionsbeitragsleistende, anzuregen.
Im pragmatisch-politischen Diskurs wird versucht, mit allen möglichen Zusatzregelungen und Ausnahmen eine gesellschaftliche Situation in den Griff zu bekommen, die vielerorts als sich bedrohlich auflösend empfunden wird. Gleichzeitig entstehen ernsthafte Befürchtungen seitens der Personen, die sich als angepaßt und der Norm entsprechend betrachten, daß die vielen Zusatzregelungen und Ausnahmen letztendlich auf ihre Kosten gehen. So lassen sich z. B. viele LeserInnenbriefe erklären, die laut nach einem "Schutz der Familie" rufen und ein Bedürfnis der Kinder nach ungeteilter, selbstloser Mutterliebe rund um die Uhr heraufbeschwören. Demnach sind letztendlich "egoistische" Frauen an allen Übeln der Gesellschaft schuld - von Gewalt und Kriminalität bis hin zur Arbeitslosigkeit und Orientierungslosigkeit.
Parallel jedoch scheinbar gänzlich abgehoben von dieser Entwicklung in der Politik des Alltags entstehen aber ganz andere Vorstellungen. KünstlerInnen und TheoretikerInnen aller Richtungen entwickeln Theorien, stellen Überlegungen an, die von diesen Annahmen der Alltagspolitik scheinbar unbelastet sind. UtopistInnen und NetzeuphorikerInnen (z. B. im Umkreis der kalifornischen Zeitschrift "Wired") schreiben vom unaufhaltsamen Fortschritt der Menschheit, der zu einem besseren Leben für alle führen soll, ohne sich von den organisatorischen und sonstigen Problemen der "berufstätigen Mütter" oder der "alleinerziehenden Mütter" irritieren zu lassen, genauso wenig, wie pragmatisch denkende PolitikerInnen sich von anderen möglichen Lebensformen ablenken lassen. Doch die theoretischen Überlegungen, die im Zuge der technologischen Entwicklungen entstanden sind, könnten möglicherweise interessante Auswirkungen für die Organisation des Alltags bieten.
Die Gegenüberstellung von "weiblich" und "männlich" wird grundsätzlich in Frage gestellt. Es steht die Definition des Menschseins überhaupt zur Debatte. In ihrem berühmt gewordenen "Cyborg Manifesto" behauptet die feministische Biologin Donna Haraway, wir sind alle Cyborgs: schlichte, "natürliche" Menschen gibt es nicht, da wir alle in symbiotischen Wechselbeziehungen mit den uns umgebenden Technologien leben, wobei die Grenzen zwischen "natürlich" und "künstlich" ständig fließen und sich immer wieder neu zusammensetzen. Der Umgang damit erfordert ein tiefgreifendes, verantwortungsbewußtes und doch offenes Wissen um die Konsequenzen unseres Handelns. Die US-amerikanische Philosophin Judith Butler hat mit ihren - nicht unumstrittenen - Ausführungen zur Auflösung der Geschlechter eine wahrhaftige Lawine im feministischen Diskurs ausgelöst. Sie beschreibt Geschlechteridentität (gender) als Performativität: So wie "Natur" und "Kultur" nicht als eigenständig, in sich existierende Begriffe gedacht werden können, ist auch die Geschlechteridentität stets eine Zusammensetzung und Akkumulation kultureller Zuschreibungen, ohne die die Geschlechter gar nicht wahrnehmbar oder begreiflich sein können. Cyberfeministinnen wie VNS Matrix setzen diese Vorstellung in ihrer künstlerischen Arbeit so um, daß sie sich nicht in erster Linie als Frauen identifizieren, sondern als Viren in der Matrix des Big-Daddy-Großrechnersystems. Im "Cyberspace" der sich immer weiter ausbreitenden Netzwerke entstehen neue Möglichkeiten, mit Identität und Gemeinschaftsformen zu experimentieren. Allerdings zeichnet sich eine deutliche Tendenz ab, stereotype Rollenbilder mit herkömmlichen männlichen und weiblichen Verhaltensmustern auch in den Cyberspace einzuschreiben, was nicht zuletzt eine Folge der derzeitigen Organisationsregeln unserer Gesellschaft ist, wonach Frauen weniger Zeit, weniger Muße, und schlichtwegs weniger Zugangsmöglichkeiten zu den Netzwerken haben.
Es muß keineswegs das Ziel sein, daß jede einzelne Person vor einem Bildschirm mit einer permanenten, Hochleistungsverbindung zum Netz alleine sitzt, um sich mit alternativen Identitätsmöglichkeiten und Gesellschaftsformen auseinanderzusetzen. Es wäre jedoch sicherlich spannend, Vorstellungen, die durch solche Auseinandersetzungen entstanden und am Entstehen sind, auf die Organisation des pragmatisch-politisch geregelten Alltags zu übertragen zu versuchen. Vielleicht wäre es dann möglich, die Werthierarchien, welche die Rahmenbedingungen unseres Alltagsleben markieren, so zu überdenken, daß neue Handlungsräume entstehen. Vielleicht wäre es möglich, Verantwortung und Zuständigkeitsbereiche so aufzuteilen, daß die als Frauen bestimmten Personen nicht wieder im Laufe einer vermeintlichen "Befreiung" noch mehr aufgebürdet bekommen.
Derzeit klaffen die Welten der Alltagspolitik und des theoretisch-künstlerischen Diskurses immer weiter auseinander. Es ist zwar ohne Weiteres möglich, daß verschiedene Welten einfach nebeneinander existieren, doch eine wechselseitige Beeinflussung und Befruchtung könnte weit befriedigender sein. Oder in Anlehnung an die feministischen Science Fiction Romane der 70er und 80er Jahren könnten wir bloß auf den Zusammenprall warten, damit wir nach der Katastrophe dann von Vorne anfangen. Oder auch nicht.